Reisebericht Tag 3 und 4

Do. 1.12.22

Heute und morgen besichtigen wir ein landwirtschaftliches Projekt in Kathonzweni, welches Unterstützung bei uns angefragt hat. Kathonzweni liegt ca. 180 km südöstlich von Nairobi.

Wir werden von Phillip abgeholt

Abgeholt werden wir von Phillip, den Ribbi und ich schon vor einiger Zeit in Deutschland kennen gelernt haben. Phillip ist der Bruder von Catherine Flohr, der Frau von Klaus Flohr, einem deutschen Gynäkologen, der jahrelang in afrikanischen Krankenhäusern gelebt und als Chef gearbeitet hat und der schon seit Ewigkeiten mit Nangina zusammenarbeitet. Die Qualität der Straßen habe ich hier ja schon gelobt, den Autoverkehr nicht. Weiterhin gilt das Recht des Stärkeren. Wenn ein Lastwagenfahrer sich am Berg dazu entscheidet, einen PKW zu überholen und dabei in den Gegenverkehr fährt, muss man halt auf den Seitenstreifen ausweichen.

Kamikaze-Fahrer auf der Überholspur
Der einzige Zebrastreifen, an dem Autos anhalten.
Gnus und Zebras am Straßenrand
Kamele neben der Straße

Wir fahren aus Nairobi hinaus in die Savanne. Plötzlich laufen Gnus und Zebras über die Straße, wir halten an für Fotos. Je weiter wir aus Nairobi hinaus fahren, in die Berge, desto mehr wandelt sich die Landschaft von gelb zu grün. Wir steigen aus für ein paar Fotos. Phillip erzählt uns, dass das knöchelhohe Gras normalerweise brusthoch sein sollte, es aber drei Jahre kaum geregnet hat. Erst vor zwei Wochen hat es das erste Mal wirklich angefangen zu regnen, viel zu spät für die Regenzeit, die normalerweise von Oktober bis Dezember geht. Vor zwei Wochen sei alles Grün, was wir hier sehen, noch gelb gewesen.

Es wird grüner.
Es ist schon richtig grün.
Mini-Bauernhof

Die Dörfer hier auf dem Land erinnern mich im Aufbau an die Slums. An der Hauptstraße die ganzen Geschäfte, weiter hinten die Wohnhäuser. Der Unterschied zu Korogocho besteht darin, dass fast alle Häuser hier aus Lehm und Ziegelsteinen bestehen, anstatt aus Wellblech. Viele der Häuser sind in den Farben der beiden größten Mobilfunkanbieter Safaricom und Airtel angestrichen und haben auch ihr Logo drauf. Erst denke ich, dass es Shops sind in denen man das berüchtigte „mpesa“ kaufen kann, wundere mich, dass teilweise drei, vier, fünf Läden in einer Reihe stehen. Phillip klärt mich dann aber auf, dass die Mobilfunkanbieter den Menschen hier einen kostenlosen grünen oder roten Hausanstrich geben und im Gegenzug ihr Logo und ihre Werbesprüche draufpinseln.

Hütten mit Safaricom-Werbung
Panorama
Unser Hotel mit Solaranlage und Wassererhitzer
Das Hotel von vorne
Unser Hotelzimmer

Wir kommen in Kathonzweni an. Nach einem guten Mittagessen und häuslicher Einrichtung in unseren Hotelzimmern fahren wir mit Phillip seinen Hof besuchen. Die meisten Bauernhöfe auf dem Land bestehen aus ein paar kleinen Hütten und dazugehörigem Land. Die Farmer besitzen ein paar Hühner, Kühe und Ziegen. In erster Linie wird angebaut, um die Familie zu versorgen, was übrig bleibt, wird verkauft. Wer genug Wasser für die Landwirtschaft hat, kann mit seiner Familie gut von seinem Betrieb leben. Phillip hat das Glück, neben seinem Grundstück eine Schule mit einem Brunnen zu haben, von dem er Wasser bezieht. Verglichen mit der Gegend, aus der wir heute gekommen sind, ist hier in Kathonzweni und Umgebung schon alles grün. Sein Garten ist explosiv grün. Stolz führen er und seine Frau uns herum. Mais, Mangos, Papayas, Kohl, Passionsfrüchte, Zwiebeln, Chilis. Besonders der Mais steht im Vordergrund. Er ist bestimmt 2,5m hoch, viel höher als der der anderen hier in der Umgebung. Phillip hat den Luxus zu entscheiden, wann er erntet und verkauft.

Phillip zeigt uns seine Farm.
Phillip zeigt uns seinen Garten

Wir treffen die Frauengruppe um das Projekt, welches Unterstützung angefragt hat. Es handelt sich um 20 Frauen, die sich 2018 selbstständig gemacht haben, um im großen Stil Hühner großzuziehen. Sie standen voll in den Startlöchern, hatten schon viele Hühner. Dann kamen Corona, die Wirtschaftskrise und die drei jährige Dürre, wegen der kein Futter für die Hühner geerntet werden konnte. Notgedrungen mussten die Hühner geschlachtet und verkauft werden, um mit dem Geld durch die harte Zeit zu kommen und auch, um die Kinder weiterhin zur Schule schicken zu können. Jetzt stehen sie wieder am Anfang. Wollen einen Hühnerstall für 1000 Hühner errichten und Futter fürs erste Jahr einkaufen um einen sicheren Start zu haben. Außerdem bauen sie Dämme im nahe gelegenen Flussbett, um Wasser aufzufangen. Sie wollen unabhängig vom Klima und seinem Wandel werden.

Wir mit den Frauen des Projekts

Die Stimmung während des Gesprächs ist locker. Wir spüren die Hoffnung der Frauen auf unsere Unterstützung. Auch ihr Stolz auf ihre bisherige Arbeit ist bemerkbar, als eine der Frauen uns das Zertifikat zeigt, dass die Gruppe offiziell als Selbsthilfeprojekt registriert. Es werden kleine Teigtaschen herumgereicht, vor dem Essen wird gebetet, wir bekreuzigen uns. Ich als unreligiöser Mensch weiß nie so ganz wie ich mich in solchen Situationen verhalten soll, mache in diesem Fall aus Respekt beim Bekreuzigen mit, auch aber, um nicht als Sonderling dazustehen. Wenn ich mit Nangina in die Kirche gehe, beteilige ich mich zwar am Gesang, nicht aber an den Gebeten, dem Bekreuzigen und den Kniefällen. Ich versuche einen Mittelweg aus respektvoller Partizipation und bestimmter Distanz zu gehen.

Man merkt, wie wichtig den Frauen ihre Religion ist und wie viel sie ihnen gibt. Sie wirken voller Vertrauen in die Zukunft, trotz der schwierigen Umstände unter denen sie leben. Ich finde das sehr bewundernswert.

Wenn’s kein Teer ist, sieht‘ so aus.

Der nächste Tag. Wir begleiten die Frauen in den Teil der Gegend, in dem sie ihre Ländereien haben. Von der Hauptstraße runter, ist plötzlich nichts mehr von geteerter Straße zu sehen, geschweige denn zu spüren. Durch Schlaglöcher und vom Regen ausgewaschene Wege geht es mehrere Kilometer durch den Busch. Als wir am Bauernhof von Margret ankommen, werden wir bereits von den Frauen erwartet. Als wir aussteigen, fangen sie plötzlich an zu singen und zu tanzen, und wir auf einmal mitten drin. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen hier auf dem Land ausgelassener sind als die in der Stadt. Es wird viel gelacht. Wirklich viel. Aus dem ernsten Deutschland kommend, ist das ganze Gelächter ein kleiner Kulturschock. Ein schöner Kulturschock. Während den zwei Tagen in Kathonzweni lache ich so viel wie schon lange nicht mehr. Und das obwohl ich jemand bin, der als Deutscher schon überdurchschnittlich viel lacht.

Begrüßung mit Tanz

Die Sitzkreise bekommen langsam tägliche Routine. Wir stellen uns noch einmal alle vor und werden dann über den Hof geführt. Von industrialisierter Landwirtschaft kann hier keine Rede sein. Zwar habe ich die ganze Zeit 4G+ Empfang, Strom gibt es hier auf Margrets Hof aber nicht. Der Hof sieht ähnlich aus wie die meisten hier. Es gibt einen großen gemauerten Hühnerstall, eine kleine Hütte, in der ein Ofen ist und in der gekocht wird, zwei kleine Freilichtställe mit ein paar Ziegen und Kühen und zwei Häusern zum Wohnen.

Nach der Hoftour wird uns das Umland gezeigt. Der Hof liegt auf einem kleinen Hügel, der leicht in ein Tal abfällt. Die Felder liegen am Rand des abfallenden Hügels. Alle paar Meter sind am Hügel entlang kleine Sanddämme errichtet, um herunterfließendes Wasser aufzuhalten. Wir kommen unten im Tal an. Hier sind ein leeres Flussbett, das nach Regen immer wieder Wasser führt, und ein Staudamm, den die Frauen gebaut haben. Als der Staudamm gebaut wurde, wurde der Fluss noch glatt von ihm getrennt, mittlerweile hat sich aber flussaufwärts so viel Sand angestaut, dass das Flussbett künstlich auf einer Höhe mit dem Staudamm abschließt. Wenn der Fluss jetzt Wasser führt, verdunstet dieses nicht sofort, sondern wird im Boden gespeichert, sodass der Grundwasserspiegel rundherum überall ansteigt.

Staudamm zur Wasserspeicherung

Wir wandern insgesamt über eine Stunde durch das Flussbett und seine Seitenarme. Die Frauen haben noch zwei weitere Staudämme errichtet, um sie herum überall das gleiche Bild. Die Ufer um die etwa fünf bis sieben Meter hohen Staudämme sind bepflanzt mit Bananenstauden, Zuckerrohr, Mangos oder Mais. Wer an das Wasser kommen will, gräbt entweder ein kleines Loch in den Sand oder nutzt einen der errichteten Brunnen. Eine der Frauen hat auf ihrem Grundstück eine solarbetriebene Wasserpumpe, die das Wasser hoch auf ihr Feld und in einen Wassertank pumpt.

Zweiter Staudamm
Das bewirkt der Staudamm: Wasserspeicherung unterirdisch.

Am Ende der Tour noch einmal Sitzkreis, ein paar der Frauen verschwinden kurz und kommen mit Gemüse, Obst, Eiern und einem Huhn wieder, welche sie uns in einer Sing- und Tanzzeremonie feierlich überreichen. Völlig perplex sind wir plötzlich stolze Besitzer eines lebenden Huhns, das sofort in den Kofferraum verfrachtet wird. Das Huhn kann einem leidtun, Verständnis für unser Mitleid hat hier aber niemand. Klar, Tiere sind für die Menschen auf dem Land ein essentieller Bestandteil des Einkommens, ein wichtiger Teil der Ernährung.

Unsere Geschenke
Ich mit Huhn

Wir in Europa haben schon längst den ursprünglichen Bezug zum Tier als Nahrungsmittel verloren. Es ist höchstens noch ein Genussmittel, für wenige Euro beim Discounter gekauft, gequetscht, gepresst oder geschreddert, zum schnellen und billigen Konsumieren gedacht. Auch haben wir es ganz einfach nicht mehr nötig, Fleisch zu essen. Wir sind in keiner Weise davon abhängig, sind als Gesellschaft an einem Punkt, an dem man ohne Probleme gesund leben kann, ohne Fleisch zu konsumieren. Alles Gründe warum ich seit vielen Jahren Vegetarier bin. Die Tiere, die hier auf den Tellern landen, sind gestern noch quietschlebendig über den Hof gelaufen. Jedes Teil des Tieres wird per Hand verwertet, nichts wird verschwendet. Das alles sind Gründe, warum ich hier das erste Mal seit 5 Jahren ganz bewusst wieder Fleisch esse.

Wir verlassen eine Gruppe von Frauen, die merklich stolz sind auf das, was sie erreicht haben, die hoffnungsvoll in die Zukunft blicken, sich nicht unterkriegen lassen und die dem Klimawandel den Kampf erklärt haben. Sie wollen sich und ihre Familien unabhängig von Treibhausgasen ernähren, welche wir Industriestaaten maßgeblich verursachen. Die Ungerechtigkeit der Welt wird greifbar, ich frage mich, wie es hier in 20 Jahre aussehen soll, wenn es immer wärmer und wärmer wird. Vor Ort zu sehen, wie Menschen in ihrer Lebensgrundlage bedroht werden, ist ganz anders als es aus den Medien zu hören.

Wir fahren zurück nach Nairobi, statten unterwegs noch Bischof Norman in seiner neuen Diözese einen Besuch ab. Früher war er Bischof der Diözese, in der auch Nangina liegt, viele Projekte haben wir mit ihm gemeinsam erarbeitet.

Wir mit Bischof Norman

Morgen haben wir einen freien Tag und werden wahrscheinlich Nairobis Innenstadt ein bisschen erkunden.

Bis dahin! Euer Fynn.